Jung & selbstbewusst: 3 angesagte Fotograf_innen aus Kenya

So vielfältig die Herangehensweise, so vereinend die Motivation. Viel zu lange wurde das Bild Afrikas von außen bestimmt. Eine junge Generation kenyanischer Fotograf_innen möchte dies ändern und das Image ihres Landes bestimmen. Selbstbewusst nutzen sie die Mittel der digitalen Revolution und zeigen via Social Media und Internet ihre Sichtweise auf Land und Leute.

„Kenya“ hat laut google-Bildersuche vor allem etwas mit Maasai, Löwen, Giraffen, Wasserfällen, weißen Stränden, weiten Savannen und romantischen Sonnenuntergängen zu tun. Dann noch irgendwie mit politischen Unruhen, Terrorangriffen und vielleicht auch mit den Hochhäusern der Skyline Nairobis.

Die Bilder junger kenyanischer Fotograf_innen hingegen zeigen ein ganz anderes Bild: Mutua Matheka beeindruckt durch faszinierende Cityscape-Aufnahmen, Joel Lukhovi gibt mit der „peace train series“ Einblick in politisches Graffiti der ostafrikanischen Metropole und Msingi Sasis führt nachts mit bester schwarz-weiß Streetphotography durch die stillen, dunklen und menschenverlorenen Straßen Nairobis.

Mutua Matheka – Fotograf, Vater, Adrenalinjunkie

Es ist schwer mit viel beschäftigten Menschen einen Termin zu vereinbaren. Mutua Matheka ist so einer. Viel treibt den jungen, sportlich aussehenden, Vollbart tragenden Kenyaner mit der dicken schwarzen Hornbrille an. Matheka ist Fotograf, aber nicht irgendeiner. Fotograf_innen gibt es in Kenya viele. Matheka ist einer der gefragtesten kenyanischen Fotograf_innen, bekannt für seine Cityscape-Aufnahmen Nairobis.

Der Fotojournalist und politische Aktivist Boniface Mwangi soll einmal zu ihm gesagt haben: „Wenn die Medien die schöne, positive Seite von Nairobi zeigen möchten, holen sie sich die Fotos von dir und wenn sie „Krieg“ brauchen, kommen sie zu mir.“

Architekt, Fotograf, Familienvater, Kreativling

Ausgebildeter Architekt, stolzer Familienvater, genialer Grafiker und ein scheinbar auf allen sozialen Medienkanälen vertretender Meister der digitalen Selbstinszenierung. Matheka bloggt, mobilisiert, inspiriert, organisiert und fotografiert – mit Vorliebe von hohen Gebäuden. Selbstverständlich ganz ohne Höhenangst.

Vitaly Raskalov KE? Nicht ganz, aber um ein Baumelnde-Beine-Selfie in gut hundert Meter Höhe zu machen bedarf es einer gehörigen Portion Mut. Oder eher einer gehörigen Portion Leichtsinn? Vielleicht ist beides nötig. Für Matheka selbst scheint dies aber gar keine große Sache zu sein:

„At these heights, I feel most alive. I can’t even explain it. But that said….We all have our fears, right? Height is just not one of mine.“

Besäße er diese Angst so würden vermutlich nur die wenigsten seiner atemberaubenden Cityscape-Fotografien zustande kommen. Mutua könnte sich nicht kopfüber über Balustraden beugen, um Bilder zu schießen, deren Perspektive anderen Schwindel bereitet.

Preisgekrönt und international bekannt

Mutua Matheka, geboren im 150.000 Einwohner_innen zählenden, 63 Kilometer südöstlich von Nairobi gelegenem Machakos, studierte Architektur an der Jomo Kenyatta University of Agriculture & Technology und ist national wie international für seine einzigartige Darstellung von urbanem Raum Kenyas bekannt. 2013 wurde er dafür mit dem zweiten Platz der Kenyan Photography Awards in der Kategorie „Creative“ geehrt.

Seine Bilder zeigen Nairobi aus ungewohnten Perspektiven: epische Stadtlandschaften aus luftiger Höhe, architektonisch interessante Gebäude im extremen Weitwinkel, edle Innenräume, strukturelle Details der urbanen Welt.

Das Spiel mit den Farben und Formen

Matheka liebt das Spiel mit den Farben. Hohe Kontraste, satte Farben, strahlende Landschaften: Betrachtet man beispielsweise das Bild „Nairobi #2“, so sieht man links ein blau verspiegeltes, die Stadt widerspiegelndes Hochhaus. Es ist der wuchtige I&M Tower mit seinen vier rot blinkenden, Flugzeuge warnenden, an Speerspitzen erinnernden Signalsäulen auf dem Dach.

In den bei Tageslicht strahlend blauen Glasflächen zeichnen sich jetzt bei Nacht verkrümmt-zerstückelte Abbilder, Bruchteile, Fragmente der tieforangenen umherliegenden Gebäude ab:

Sternförmig verläuft das Licht einer Straßenlaterne, durch beleuchtete Fenster möchte man Köpfe einiger noch arbeitenden Menschen erkennen. Über all dem der dunkelblaue, mit lila Streifen durchzogene Himmel und die Ruhe einer Stadt, die einem modernem Märchen entsprungen sein könnte. Einem modernen Großstadtmärchen.

Die Sichtweisen auf Afrika ändern

Matheka möchte bestehende Perspektiven und Konzepte brechen, Sichtweisen auf Afrika ändern und ihnen Neues entgegensetzen. Während man sich bei europäischen Metropolen wie Berlin oder Paris eher fragen sollte, ob sie wirklich so grün, hell und hip sind wie sie scheinen, gilt der umgekehrte Fall für Nairobi. Mutua Matheka setzt hier an. Und er ist nicht alleine.

Die kenyanische Foto-Community ist gut vernetzt. Regelmäßig ziehen sie in Foto-Ralleys durch Nairobi und veröffentlichen ihre Eindrücke auf instagram, beispielsweise unter dem Hashtag #MatembeziNai, übersetzt „Spaziergang Nairobi“. Wer dieses urbane Gebilde nicht kennt mag überrascht sein: Es ist nicht Dubai, es ist nicht New York. Es ist „nur“ Nairobi. Eine ganz gewöhnliche afrikanische Großstadt. Gezeichnete Schönheit in gold-königlichem Licht.

Msingi Sasis – Der Mann hinter „Nairobi Noir“

Manchmal strahlen Nairobis Nächte vor lauter Eleganz mit den Sternen am Himmelszelt um die Wette. Es sind diese Momente in denen man sich sicher sein kann, dass in dieser Stadt heute irgendwer die Nacht seines_ihres Lebens hat. Manchmal spiegeln Nairobis Nächte aber auch die Tränen wieder, die die Härte des Lebens erzeugt.

Das Street Photography Projekt „Nairobi Noir“ des fünfunddreißigjährigen Msingi Sasis beinhaltet beide Momente. Sie sind Bestandteil eines außerordentlichen Versuchs, das nächtliche Nairobi unverblümt wiederzugeben.

Obwohl der Großteil der Aufnahmen in Nairobis geografischem Herz, dem CBD oder „tao“ genannten Central Business District, entstanden ist, steht eigentlich nicht die Stadt selbst im Vordergrund. Sie ist vielmehr schmückendes Beiwerk, schlichter Hintergrund für die abgebildeten Menschen und die Geschichten, die sie erzählen: „Nairobi Noir is mostly about people,“ so Sasis selbst.

Photography Ninja

Vom kenianischen UP-Magazine als „photography ninja“ bezeichnet, von zahlreichen Blogs und dem BBC World Service gefeatured, ist der Mann hinter „Nairobi Noir“ kein unbeschriebenes Blatt mehr. Er ist bekannt. Und trotzdem ist es schwer seine Person betreffende Informationen im Internet zu finden.

Msingi Sasis scheint der Öffentlichkeit nur mit Vorsicht zu begegnen, ihr nicht ganz zu vertrauen. Auf einem Bild ist Sasis vermummt und trägt Sonnenbrille, im Interview mit Dan Damon scheint er zurückhaltend, fast schüchtern zu sein, seine Stimme leise und zögernd. Seine Augen auf Profilfotos von Twitter, Facebook und Co. sind stets mit einem schwarzen Banner überzogen, auf dem in geschwungener Handschrift der eigene Name steht.

Vielleicht möchte Sasis auch einfach nicht im Vordergrund stehen und seine Bilder für sich sprechen lassen. Sie erzählen genug Geschichten.

Die dunkle Seite Nairobis

Während sich in Mutua Mathekas Nachtaufnahmen Straßenlaternen in Diamanten und fahrende Fahrzeuge in glühende Lichtstreifen verwandeln, dominiert bei Sasis die dunkle Seite Nairobis. Schwarz ist das dominierende Element, auf vielen Fotos regnet es.

„In the rain people behave quiet differently. At dark on certain streets there is a very sinister and threatening mood [or] atmosphere, especially [in] some very short [and] dark allies. You can literally see it even without having it photographed.“

Menschen erscheinen in den Fotografien der „Nairobi Noir“-Serie oft nur als abstraktes Abbild ihrer eigenen Umrisse.

Mit viel emotionaler Nähe zum Sujet zeigt Sasis die dunkel-düsteren, auf einmal so langsam-leeren Straßen der ostafrikanischen Großstadt. Dabei wahrt er den Respekt zu seinem Gegenüber: Keine Close-Ups, keine Entstellung, manchmal nur Schatten. In der Regel anonym von hinten, fast nie frontal. Immer mit Distanz: 3, 5, 10, 15 Meter.

Die Mystik einsamer Straßen und tiefer Häuserschluchten

Nairobi ist nachts nicht ganz ungefährlich: Auf den einsamen Straßen, zwischen all den hohen Gebäuden fühlt man sich nicht nur alleine. Man ist es auch. Wieso also freiwillig durch die Häuserschluchten wandeln, als wäre es eine friedliche Betonwiese, mit einer Kamera in der Hand? Es ist die Stadt selbst, ihre Mystik, die den Fotografen zu sich ruft:

„One night I noticed how beautiful the city looked after dark, and it caught my fancy to take a few photographs. […] This became a habit, and in time I found myself wandering more and more into Nairobi’s streets in search of its scenes and stories.“

All der Düsternis zum Trotz: Manchmal sind es die Details, wie das Foto einer Bar mit den Namen „West End Bar“, die einen schmunzeln lassen: Ein Mann fegt, seinen Rücken arg gekrümmt, den Boden. Eine leicht unscharfe Werbetafel soll potenzielle Kund_innen mit der Abbildung des beliebten Tusker-Biers anlocken. Auf ihm der Slogan „TWENDE KAZI“ (Auf geht’s zur Arbeit).

Nicht lustig, eher fragend, ist das Bild mit dem Titel „The Eyes Can´t Resist“: Zwei junge, zum Ausgehen gekleidete Frauen verlassen einen Parkplatz und lassen zwei ihnen hinterherblickende Straßenkinder zurück. Die einen, voller Energie in die Nacht, vielleicht zum Tanzen, die anderen, voller Sehnsucht stehen gelassen. Den Kopf völlig benebelt vom süßlichen Gift des Klebstoffschnüffelns.

Die Vielfalt der Stadt

Aber Nairobi ist vielfältig: Menschen aus allen Herren Ländern bevölkern die Stadt und leben neben und miteinander in diesem urbanen Gebilde. Ganz fehlen können die positiven Momente in Msingi Sasis Streetfotografie also nicht.

Sie werden sichtbar bei den zwei Fußball spielenden Jungs des Bildes „Untitled 53“, die versunken im Spiel Raum und Zeit vergessen haben. Oder die beiden Frauen, die in „Like Little Girls In the Rain“ Arm in Arm, verträumt voller Leichtigkeit, abgeschirmt von Regen und Außenwelt, auf die Statue des Freiheitskämpfers Dedan Kimathi zulaufen.

„Nairobi is like any other city in the world, particularly at night. It has all the elements of the human condition that you will find anywhere else in the world. The beauty you see in cities, the sense of threat, you feeling them at night. They all exist there.“

Barbara Minishi – Die kickboxende Modefotografin

In einem völlig anderen Kontext beschäftigt sich Barbara Minishi mit Urbanität. Minishi zählt zu den ersten professionellen Fotografinnen in Kenia, die sich der Modefotografie gewidmet haben. Das ist mittlerweile zwölf Jahre her.

„You´re black, you´re female, there´s no possible way you can be a professional photographer,“ wurde ihr am Anfang ihrer Karriere gesagt. Seitdem hat sich Minishi international einen Namen gemacht, all der ihr entgegen gebrachten Skepsis zum Trotz.

Sie muss sich durchgekämpft, Schläge und Tritte einkassiert haben, ganz so als wäre es ein Kickboxtraining gewesen: Auch wenn der Körper schmerzt, das Training geht weiter. Kickboxen ist ihre Passion. Dieser Durchhaltewillen hat ihr mittlerweile sogar einen Preis für die beste künstlerische Leitung im Film „Nairobi Halflife“ eingebracht.

Repräsentieren, was nicht repräsentiert ist

Minishi kam schon früh mit Fotografie in Kontakt. Ihren Vater beschreibt sie als Fotoenthusiasten, der mit großer Sorgfalt das Fotoalbum der Familie pflegte. Mit seiner Kamera fing sie an zu fotografieren, mit ihr machte sie ihre ersten Bilder. Bilder die mit alt hergebrachten Stereotypen brachen:

„When I started out representation was important to me. It was odd seeing a plethora of just news or human disaster-type images. The only books I saw about Kenya were on landscape and exotic tribal people. I felt there was more that could have been portrayed. It’s no wonder my first story was on contemporary dance.

Vom zeitgenössischem Tanz zur Modefotografin. Barbara Minishi war schon immer von der Schönheit, der Kultur, der „vibrancy“ des Menschen fasziniert.

Fashion Weeks in Malawi, Kenya, Nigeria und Südafrika

Während für manche Städte wie Paris, Berlin, London oder New York das Zentrum der Fashionszene ist, entwickelt sich auf dem afrikanischen Kontinent eine eigenständige Modeszene. Minishi ist ein Teil davon. Fashion Weeks in Malawi, Kenya, Nigeria, Südafrika und anderen Ländern bieten Modefotograf_innen eine Vielzahl von Möglichkeiten.

Auch wenn Urbanität und Fashion an sich schon eng miteinander verbunden sind, weisen viele Arbeiten der jungen kenyanischen Fotografin eine besondere Verknüpfung der zwei Themen auf. Nicht selten fotografiert sie ihre Models in urbanen Räumen wie auf Baustellen, in Rohbauten, vor Graffitis oder in Fitnessstudios.

Junge Frauen, selbstbewusst und stolz, den Blick herausfordernd zum Himmel

Besonders erwähnenswert sind die Fotografien der Serie „City Models Africa“, welche modisch gestylte Schwarze Frauen vor einem klaren weißen Hintergrund zeigen.

Wie durch einen seichten Vorhang fällt der Blick des_der Betrachter_in durch ihre Konturen hindurch auf Elemente einer modernen Großstadt: bunt beleuchtete Großstadtgebäude, Lichter vorbeiziehender Autos und nasser, das Licht brechender Asphalt. Die meist jungen Frauen wirken selbstbewusst und stolz, unantastbar und kühl. Sie erinnern an Diven.

Das Divenhafte bringt wohl die Modefotografie mit sich. Es ist auch Teil der Serie „SAITH“: Auf einem Bild sieht man wie eine junge Frau mit braunen Locken und hohen Stöckelschuhen, herausfordernd durch das offene Dach, in den auf sie Licht werfenden Himmel schaut.

Sie trägt einen gelben Rock mit schwarzem Muster, durch ein vergittertes Fenster wird das Szenario von rechts mit Seitenlicht beleuchtet. Der blaue Himmel kontrastiert farblich das Kleid, die abgeplatzte Wandfarbe und der dahinter auftauchende Rohbeton die Weichheit des golden schimmernden Stoffes und der sanft gewellten Haare. Herausfordernd blickt die Frau in den Himmel.

Die Befreiung des Bildes aus weißen Händen

Wird es dieser Generation von aufstrebenden, den Stereotypen widerstrebenden jungen Fotograf_innen gelingen das Bild Kenyas neu zu besetzen? Werden sich diese Art von Fotograf_innen in der Afrikaberichterstattung gegen Zebrabilder, Savannenklischees und Elendsvoyeurismus durchsetzten? Letztlich also mehr kulturelle Unabhängigkeit erringen und Selbstbestimmung erfahren? Hoffentlich. Denn dies wäre ein weiterer Schritt hin zu einem selbstbewussten und befreiten Afrika.

Politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit kann es nicht ohne die kulturelle geben. Die Befreiung des Bildes und dessen Loslösung aus den Händen weißer, westlicher Fotograf_innen durch eine neue Generation afrikanischer Fotograf_innen wird diesen Prozess beschleunigen und die Befreiung des afrikanischen Kontinents weiter vorantreiben.