Wir sitzen kurzärmelig in der Sonne, essen Brötchen und Käse aus dem Supermarkt. Wir sind in Lissabon, knapp 2313 Kilometer Luftweg entfernt von Berlin. Weit genug weg, um diesen hässlich-grau-bedrückenden Betonkoloss zu vergessen. Diesem Wald ohne Blätter, in dem geblendete Nachtfalter umherirren und davon träumen Schmetterlinge zu sein.
Es ist Februar. Das Gras, die Bäume, die Steviablätter auf der Saftpackung – alles saftig grün. Vor uns liegt der Parque Eduardo VII, dahinter die Fassaden einiger Edelhotels. Obwohl der Marquês de Pombal, ein sich als Orientierungspunkt gut eignender Kreisverkehr, nur wenige Meter von uns entfernt ist, hören wir nichts. Ab und an ein Flugzeug, das über die Häuserfront auf der anderen Parkseite fliegt, ansonsten nur Vögel und Sommersummen.
Wir laufen. Laufen weiter. Und weiter. Immer wieder stolpern wir über Plätze mit Kiosken, in denen Kaffee statt Zeitungen verkauft wird. Kein Automatenkaffee-To-Go, sondern frischer gemahlener, in verchromten Espressomaschinen gebrühter Kaffee. So sitzen wir, mit einem bica in der einen und einem Pastéis de Nata/Belém in der anderen Hand, auf kleinen, vom Touristenschwall verschonten Plätzen. Laufen, sitzen, trinken: Uma bica, den ganzen Tag.
Schnell ist uns klar, diese Stadt hat etwas, was andere europäische Städte nicht haben. Etwas, das sich nur schwer in Worte packen lässt, uns aber nur aus außereuropäischen Städten bekannt ist. Lissabon ist besonders. Vielleicht ist es die außergewöhnlich durchmischte und von Experimenten zeugende Architektur, vielleicht die innerstädtischen Kontraste, die soziale Vielfalt. Ganz sicher nicht einfach das Wetter.
Sicherlich, auch Lissabon wird gehypt. Die Stadt erlebt einen regelrechten Tourismusboom und das nicht erst seit gestern. Da immer mehr Wohnungen dem regulären Wohnungsmarkt entzogen werden sind immer mehr Alfacinhas mit Wohnungsproblemen konfrontiert. Wer über das Geländer der hippen LX Factory gleich neben der imposanten Ponte 25 de Abril (Brücke des 25. April) läuft, einer ehemals wohl alternativen Kreativhochburg, fühlt den Hype. Hier läuft herum, wer – aus welchen Gründen auch immer – nicht gerade in Neukölln, Kreuzberg oder Friedrichshain ist.
Als wir eines Abends auf einen Drink im tatsächlich alternativ wirkenden Crew Hassan sitzen, Selecta Orka an den Plattendesks, überhören wir das Gespräch einer Gruppe junger Internationals: „Lisbon is the new Berlin“. I do not hope so.
Fotos: © Daniel Koßmann